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Rezension: "Herz auf Eis" - Isabelle Autissier

Es war wieder einmal Liebe auf den ersten Cover-Blick. An einem Sonntagnachmittag und an einem Stück habe ich "Herz auf Eis" verschlungen, habe mich mitreißen lassen auf eine abenteuerliche und gefährliche Reise, habe Robben sterben sehen und musste eine schwere Entscheidung mittragen. Ungeschönt zeigt sich hier die Natur des Menschen. Besser als der deutsche Titel drückt der französische Titel "Soudain, Seuls" aus, worum es im Kern des Buches geht: plötzliche Begebenheiten, die einen zurückwerfen auf das eigene Ich.

 

 

Sie sind ein ungleiches Paar, Louise und Ludovic. Sie arbeitet nach ihrem Jurastudium in der Finanzbehörde, ist eher schüchtern und lebt in ihrer eigenen Welt. Das einzig aufregende an ihr ist ihre große Leidenschaft: das Klettern. Auch hier kann sie die Genauigkeit, die auch in ihrem Job gefragt ist, ausleben. Sie plant ihre Routen aufs Genaueste, ist vorbereitet und gewappnet. Er hingegen arbeitet in einer Eventagentur, die guten Beziehungen der Eltern verhalfen ihm zum Job. Er ist ein Lebemann, beliebt und draufgängerisch.
Nach zwei Tiefschlägen im Job ist es Ludovic, der sein Pariser Leben nicht mehr aushält und den Vorschlag macht eine Auszeit zu nehmen. Louise hat viele Bedenken, aber die Angst davor Ludovic zu verlieren, lässt sie schließlich in die Reise einwilligen.


Die beiden kaufen ein Segelboot und planen einen Atlantiktörn. Nach einer wunderbaren Zeit und vielen Abenteuern in Südamerika ist es an der Zeit Richtung Südafrika aufzubrechen und wieder in See zu stechen. Von einem Freund haben sie den Tipp bekommen eine Insel in der Antarktis anzulaufen, auch wenn diese ein Naturschutzgebiet ist, denn dort gibt es einen Gletscherkrater zu erkunden. Louise und Ludovic erklimmen den Berg, sehen aber von weitem schon dunkle Wolken aufziehen. Louise, die vom Klettern in den Bergen gewohnt ist aufs Wetter zu achten, möchte umkehren, Ludovic hält sie für einen Feigling und beharrt auf die vorgesehene Tour.

Es kommt wie es kommen muss. Ein heftiges Unwetter tobt, als sie wieder am Ufer ankommen und es ist unmöglich mit dem kleinen Beiboot wieder zur ankernden Yacht zurückzukehren. Die beiden übernachten in einer verlassenen Hütte am Ufer, die zu einer Walfangstation gehörte. Morgens hat sich der Sturm gelegt, doch von ihrem Boot fehlt jede Spur.

Gefesselt an die Insel beginnen die beiden sich in der Walfangstation einzurichten, werden immer kraft- und mutloser und schließlich zerbricht Ludovic. Louise trifft eine schwere Entscheidung, lässt Ludovic zurück und setzt alles auf eine winzige Hoffnung. Schließlich geht es für sie um die Frage, ob sie sich selbst retten soll, um dann vielleicht auch Ludovic retten zu können oder ob sie ihr Leben riskieren soll ohne zu wissen, ob sie einen von beiden damit wird retten können. So oder so, ist es Louise, die mit der getroffenen Entscheidung leben muss.

 

Es war ein atemloses Leseabenteuer. Es ist eine Geschichte, die existentielle Fragen berührt, die fragt, wie weit wir für unser eigenes Überleben bereit sind zu gehen. Es ist eine Geschichte, die mich tief bewegt hat und die mich lange nicht losgelassen hat.
Vielfach liest man in Rezensionen davon, dass Isabelle Autissier zu kühl und distanziert schreibt. Was dort als großer Kritikpunkt verstanden wird ist für mich die einzige Möglichkeit, diese Geschichte zu erzählen. Der Verzicht auf Dialoge spiegelt die Sprachlosigkeit zweier Menschen, die von einem Moment auf den anderen nicht mehr ein "Wir" sind, sondern zwei Individuen, die sich gegenseitig die Schuld für ihre Situation hin und her schieben, die auf einmal zu nah aufeinander sind, die sich nicht aus dem Weg gehen können und die plötzlich auf eine ganz neue Art aufeinander angewiesen sind.

 

Lange Rede kurzer Sinn: Ich mochte dieses Buch sehr, ich bin durch das Buch geflogen und ich wünsche diesem Buch zahlreiche ebenso begeisterte Leser!

Einigen anderen scheint dieses Buch übrigens ebenfalls zu gefallen, denn Isabelle Autissiers Roman ist für den Euregio-Schüler-Literaturpreis 2019 nominiert. Wer mehr über dieses tolle Projekt wissen möchte, wird hier: https://www.euregio-lit.eu/de/ fündig.

 

Isabelle Autissier

"Herz auf Eis"

Goldmann Verlag, ISBN 978-3-442-48774-5, 10€

 

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