Wie im Rausch habe ich diese Neuerscheinung aus dem Inselverlag gelesen, die gleichzeitig mein jüngster Neuzugang im August war. Ich habe mich entführen lassen in die Finnmark und habe auf diese Weise meine literarische Landkarte um einen tollen norwegischen Titel erweitern können.
Eine junge Wissenschaftlerin, die Ich-Erzählerin der Geschichte, lässt sich mitten im Winter von einem Schiff zu einer kleinen Hütte irgendwo am nördlichen Ende Norwegens in die
Finnmark fahren, um dort mittels einer Messstation an einem Vogelfelsen, den Einfluss des Klimas auf die Vogelpopulation zu untersuchen und endlich ihre Doktorarbeit fertig zu schreiben. Ihr
Lebensgefährte Jo wollte sie eigentlich begleiten, zögert nun aber seine Ankunft immer weiter hinaus. Zu festgelegten Zeiten telefonieren und skypen die beiden, doch Nähe kann dabei nicht
aufkommen, vielmehr wird der Abstand der beiden voneinander immer greifbarer.
Die Ich-Erzählerin versucht der wachsenden Einsamkeit durch einen geregelten Tagesablauf zu entfliehen. Doch je mehr Zeit verstreicht, um so realer werden ihre Gedanken und Erinnerungen.
Besonders die Geschichte des Ortes, an dem mehr als 100 Jahre zuvor ein Unglück geschah, sowie die Erinnerungen an ihren herrischen und gewalttätigen Exmann lassen sie nicht mehr los. Irgendwann
meint sie sogar eine physische Präsenz zu spüren. Nach einer besorgniserregenden Nachricht fühlt sie sich endgültig nicht mehr sicher.
Der norwegische Titel "Ankomst" (auf Deutsch "Ankunft") fasst den Kern des Romans deutlich besser, als der deutsche Titel es tut: Die Ankunft der Frau in der Wildnis und gleichzeitig in ihrem
neuen Leben, ihr Warten auf die Ankunft ihres Geliebten und schließlich die Ankunft und die Vermischung der Vergangenheit mit der Gegenwart auf zwei Ebenen.
Auf 170 Seiten schafft Gøhril Gabrielsen ein atmosphärisch dichtes und sprachlich punktgenaues Frauenportrait, das mich einerseits gefesselt hat (es ist stellenweise spannend wie ein Thriller)
und gleichzeitig in seiner Kühle und Nüchternheit tief berührt hat. "Die Einsamkeit der Seevögel" ist der erste Roman der norwegischen Autorin, der von Hanna Granz ins Deutsche übersetzt wurde.
Ich habe also doch in diesem Jahr auf den letzten Drücker noch ein Buch für den #witmonth geschafft.
Gøhril Gabrielsen
"Die Einsamkeit der Seevögel"
Insel-Verlag, ISBN 978-3-458-17780-7, 20€
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