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Rezension: "Die Frau, die liebte" - Janet Lewis

Janet Lewis lebte von 1899 bis 1998. Sie ist in diesem Jahr 20 Jahre tot und dennoch wird erstmals ihr bereits 1941 geschriebener Roman "The Wife of Marin Guerre" ins Deutsche übersetzt. Bereits in den 1980er Jahren war der Roman mit Richard Gere und Jodie Foster verfilmt worden. Doch die Handlung des Romans greift noch viel weiter zurück, denn Janet Lewis legt ihrem Roman eine wahre Begebenheit des 16. Jahrhunderts, die sich in Frankreich zugetragen hat, zugrunde. Eine Geschichte die bis heute kaum an Aktualität verloren hat.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht Bertrande de Rols, die in jugendlichen Jahren mit dem ebenso jungen, jähzornigen und verbitterten Martin Guerre verheiratet wird, um die Bande zwischen den beiden Bauernfamilien zu befrieden und zu stärken. Schnell wird deutlich, dass es einen schwelenden Machtkampf zwischen Martin und seinem Vater gibt und Martin dem Vater immer wieder den Gehorsam verweigert. Ein Diebstahl führt schließlich dazu, dass, um dem väterlichen Zorn zu entgehen, Martin seine Familie für eine Woche verlassen will. Er verabschiedet sich von Bertrande, verrät ihr nicht, wohin er gehen wird. Es vergehen acht Jahre, bis ein Mann auf den Hof kommt, den alle für Martin halten. Der Mann wird in die Familie aufgenommen, er fügt sich in die Gemeinschaft ein und auch Bertrande  meint ihren Ehemann vor sich zu haben. Doch mit der Zeit, sie ist zum zweiten Mal schwanger, befällt sie eine ungewisse Angst, dass dieser Mann eben nicht Martin sein könnte. Als sie ihn eines Tages einträchtig mit seinem Sohn spielen sieht, ist sie sich sicher, dass dieser liebevolle Mann nicht Martin sein kann. Der Gedanke wird mehr und mehr zur Gewissheit. Erst ein fremder Soldat entlarvt den Fremden als Hochstapler und damit bewahrheiten sich Bertrands schlimmste Ängste. Gemeinsam mit dem Onkel klagt Bertrande den Fremden an, der schließlich vor ein Gericht gestellt wird. Der Prozess findet ein Ende als der wahre Martin Guerre vor Gericht auftaucht und der Fremde verurteilt wird. Martin hat jedoch kein Mitleid mit Bertrande, da er meint, sie hätte sich nicht der Hoffnung und damit dem Betrüger hingeben dürfen. Damit endet das Buch. Über das weitere Leben von Bertrande und Martin ist nichts bekannt und Janet Lewis maßt sich nicht an für den Leser ein komfortables Ende der Geschichte zu ersinnen.

 

Auf nur 128 Seiten schafft Janet Lewis es mit einer klaren, einfachen Sprache ein ganzes Panorama des 16. Jahrhunderts entstehen zu lassen. Der Leser erfährt, wie nebenbei, von Mühsal, Arbeit und Armut auf einem Gutshof, von gesellschaftlichen und familiären Strukturen und von der Sitatuation der Frauen. Wie in einer hingeworfenen Bleistiftskizze zeichnet Lewis das Innenleben der jungen Frau, kühl und schnörkellos und dennoch eindringlich und emotional. Es ist ein wunderbarer, feiner und leiser Roman, der von der ersten Seite an einen Sog entwickelt und mich sprachlos zurückgelassen hat.
Bertrande entscheidet sich für die naheliegende Wahrheit, obwohl die andere Wahrheit ist, dass der Fremde ihr Herz ebenso und vielleicht noch mehr zu berühren vermag, dass der Fremde liebevoller, zärtlicher und weniger brutal ist und dass Bertande somit zwar den falschen, aber vielleicht den besseren Mann hat. Egal wie die Entscheidung also fällt, sie hat immer einen bitteren Beigeschmack. Es ist eine Geschichte, wie aus dem Lehrbuch des Lebens, die immerwährend aktuell ist.

 

Janet Lewis

"Die Frau, die liebte"

dtv-Verlag, ISBN 978-3-423-28155-3, 18€

 

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