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Rezension: "Auflaufend Wasser" - Astrid Dehe / Achim Engstler

Es ist kalt und regnerisch, ich liege mit einem heißen Tee unter der kuschligen Decke und lasse mich mitreißen und umspülen von einem Buch, das ich ohne den Vorschlag von @mariachristinapiwowarski für @mariaslesekreis vermutlich niemals entdeckt hätte.

Und das wäre so schade gewesen!

 


Ein Tagebuch, eine Zigarrenkiste, ein Halstuch und ein Bleistift sind im Baltrumer Heimatmuseum ausgestellt. Faksimiles und Transkriptionen aus dem Tagebuch werden im Wattenmeerhaus in Wilhelmshaven gezeigt. Die kurzen Texte stammen von Tjark Ulrich Honken Evers, der am 23. Dezember 1866 zum Weihnachtsfest nach Baltrum zurückkehren wollte. Versehentlich verließ er das Boot jedoch nicht am Oststrand der Insel, sondern auf einer vorgelagerten Sandbank. Während er auf den sicheren Tod durch die Flut wartete schrieb er letzte Zeilen an seine Familie.


Astrid Dehe und Achim Engstler erzählen von Tjarks letzten Stunden auf der Sandbank, von den Erinnerungen und Gedanken, die ihn überkommen, von seinen Zweifeln an Gott, die aus seinen Zeilen sprechen und schließlich doch von seiner Hoffnung auf den gnädigen Gott. Es ist ein Buch, das die Macht der See eindrucksvoll darstellt. Man fühlt den feuchten Nebel auf der Haut, hört das Plätschern des Wassers am Rande der Plat, spürt das Strömen des auflaufenden Wassers an den Beinen und zittert von der alles durchdringenden Kälte. Ich kann beim Lesen Tjarks Einsamkeit auf der Plat spüren. "Keiner vermisst ihn, keiner erwartet ihn. [...] Sie werden an ihn denken, er gehört ja zu ihnen, in ihr Leben, aber sie haben die falschen Bilder. Keiner ihrer Gedanken findet ihn hier, keiner kann sein Schicksal berühren. Erst als Toter wird er wieder mit ihnen sein [...]."
Tjarks Wahrnehmung verändert sich durch die Kälte und so sieht er andere längst verstorbene Seeleute, solche die sich die See geholt hat und er denkt an seine eigene Familie und seine Vorfahren, deren Schicksal stets bestimmt war vom Wesen der See.

Eine Geschichte, kurz und intensiv und sehr eindrücklich und so ganz anders als alles was ich kenne. Ich werde beim nächsten Gang ans Meer, wohl mit anderen Augen hinsehen.

 

Astrid Dehe und Achim Engstler

"Auflaufend Wasser"

dtv, ISBN 978-3-423-14411-7, 9,90€

 

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