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Rezension: "Unorthodox" - Deborah Feldman

Einige Tage hat mich dieses Buch begleitet und völlig hineingezogen in eine mir unbekannte Parallelwelt. Geheimnisvoll und unbegreiflich sind nur zwei Adjektive, die mir nach der Lektüre von Deborah Feldmans autobiografischem Roman durch den Kopf schießen.

 

Die 1986 geborene Autorin, die heute mit ihrem Sohn in Berlin lebt, wuchs in der chassidischen Satmar Gemeinde, einer ultraorthodoxen Sekte, in Williamsburg (NY) bei ihren Großeltern auf. Diese aus Ungarn stammenden Holocaust Überlebenden hatten sich völlig einem Leben entsprechend einer tausende Jahre alten Tradition in der wortwörtlichen Auslegung der Tora verschrieben. Ihre Mutter hatte die Gemeinschaft verlassen, ihr Vater war aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage die Erziehung des Mädchens zu übernehmen. Auf diese Weise war das Leben der jungen Frau, unter der ständigen Aufsicht der traditionsbewussten Großeltern, Tanten und Onkeln, von Beginn an geprägt von Ge- und insbesondere Verboten, von Glaubens- und Verhaltensregeln sowie Riten und Gebräuchen, die den Alltag in all seinen Facetten bestimmten. Persönliche Freiheit ist in dieser Gemeinschaft ein Fremdwort, insbesondere gilt das für die Frauen, die sich völlig den von Männern diktierten Regeln unterordnen müssen. Vieles davon ist schier unvorstellbar, wenn man in einer freien westlichen Welt aufgewachsen und entsprechend geprägt ist.
Frauen und Mädchen innerhalb der Gemeinschaft dürfen nur wenige Jahre die Schule besuchen, höhere Schulbildung wird als überflüssig erachtet, da Frauen sich nach der arrangierten Ehe in sehr jungen Jahren um Haus und (hoffentlich zahlreiche) Kindern zu kümmern haben. Frauen ist das Singen verboten. Gelesen werden dürfen nur wenige als koscher angesehene Schriften. Die Sprache untereinander ist Jiddisch, Englisch gilt als unrein. Zur Welt, zur Gesellschaft außerhalb der Gemeinschaft, zu Kunst, Kultur, Literatur, Musik, kurz zu allem Weltlichen, haben die Mitglieder der Gemeinde, insbesondere die Frauen keinen Zugang. Feldman beschreibt auch die strengen Kleidungsvorschriften, die für Männer wie für Frauen gelten. Während Männer ihren Bart und ihre Schläfenlocken als Symbol nach außen tragen, dürfen Frauen nicht nur ihren Körper sondern auch ihr Haar nicht zeigen. Nach der Heirat wird den Frauen daher das Haar abrasiert und sie tragen fortan Perücken. Feldman beschreibt, dass schließlich sogar Echthaarperücken verboten wurden, weil diese zu echt aussehen. Mit dem Beginn der arrangierten Ehe beginnt für die Frauen eine Prozedur, die ihren Grundstein, wie all diese Regeln im Alten Testament hat: Frauen gelten während der Menstruation als unrein und müssen sich jeden Monat aufs Neue einer Reinigung unterziehen, nachdem sie, mit kleinen Stofftüchern, nachgewiesen haben, dass sie nicht mehr bluten. In der Zeit ihrer Unreinheit dürfen Frauen ihren Mann in keinster Weise berühren.

 

Deborah Feldman fühlt sich schon als junges Mädchen fehl am Platz und nicht zugehörig. Sie entwickelt schon früh einen kritischen, reflektierten Blick auf die Dinge, die um sie herum geschehen. Über einige Vorschriften setzt sie sich hinweg und entdeckt auf diese Weise die englische Sprache und das Lesen für sich. Sie kauft und leiht sich Bücher, versteckt diese vor ihrem Großvater hinter dem Schrank oder unter der Matratze, taucht ein in fremde Welten und entdeckt nach und nach Teile des Lebens außerhalb der strenggläubigen Gemeinschaft.

Als sie mit 17 Jahren eine arrangierte Ehe eingehen muss, hofft sie darauf, mehr Freiheiten genießen zu können sobald sie außerhalb des Zugriffsbereichs ihrer Familie ist. Doch Deborah muss schließlich fünf albtraumhafte Jahre Eheleben über sich ergehen lassen. Fünf Jahre, in denen sie sich nach und nach immer mehr Freiheiten nimmt, bevor ihr die Flucht in ein freies Leben gelingt.

 

"Unorthodox" ist keine leichte Kost. "Unorthodox" ist eine unbequeme Lektüre.

Ich bin froh, dass dieses Buch nun hinter mir liegt, aber ich bin auch froh durch dieses Buch Einblick in eine Parallelgesellschaft erhalten zu haben, von der ich vorher nichts wusste. Ich bin erschrocken, dass eine solch frauenfeindliche Umgebung mitten in einer aufgeklärten westlichen Zivilisation existieren kann - im Verborgenen und gleichzeitig so offensichtlich.

Mehr denn je weiß ich nun meine persönliche Freiheit zu schätzen und ich unterstreiche dick und fett den letzten Satz des Buches und möchte ihn laut hinausschreien in die Welt:

"Wenn irgendwer jemals versuchen sollte, dir vorzuschreiben, etwas zu sein, was du nicht bist, dann hoffe ich, dass auch du denn Mut findest, lautstark dagegen anzugehen."

 

Danke Deborah Feldman für den Mut diesen Weg zu gehen und für den Mut die Welt an dieser Geschichte teilhaben zu lassen!

 

Habt ihr den autobiographischen Roman schon gelesen? Oder kennt ihr den Nachfolger "Überbitten"? Vielleicht habt ihr auch andere Bücher gelesen, die sich mit einem ähnlichen Themenkomplex beschäftigen und die ihr empfehlen könnt? Schreibt es gerne in die Kommentare!

 

Deborah Feldman

"Unorthodox"

Secession Verlag, gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-905951-79-0, 22€

btb-Verlag, Taschenbuchausgaben, ISBN 978-3-442-71534-3, 10€

 

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