· 

Rezension: "Die Tanzenden" - Victoria Mas

Mit "Die Tanzenden" hat nicht nur erneut ein Debüt, übersetzt aus dem Französischen von Julia Schoch, meinen Lesestapel geentert, sondern auch ein ganz klarer Fall von Coverliebe. Wunderschön, wie die orange-roten Federn sich erhaben von dem weißen Grund der Frauengestalt und dem petrolfarbenen Cover abheben - ganz toll gemacht!

 

Daneben kann der Roman, von dem ich zugegebenermaßen vorher noch nichts gehört hatte, aber auch inhaltlich überzeugen. Er erzählt die Geschichte von Frauen Ende des 19. Jahrhunderts in Paris, einer Zeit, in der Frauen keine Rechte hatten und dem Willen und der Willkür der Männer völlig ausgeliefert waren. Eine Zeit und Begebenheiten, die für uns unfassbar erscheinen und die noch gar nicht lange her sind und deren Auswirkungen unsere Mütter und Großmütter noch am eigenen Leib erfahren haben.

 

Der Roman spielt in der Salpêtrière, einem großen Pariser Krankenhaus, besser gesagt einer Irrenanstalt. Hierher werden Frauen verfrachtet, die sich den Männern in ihrem Umfeld, ihren Vätern, Brüdern oder Onkeln widersetzt haben, die in der einen oder anderen Weise auffällig waren oder denen Heilkräfte oder besondere Fähigkeiten nachgesagt wurden. Letztendlich kann ein kleiner Blick, eine Geste und jedes zuviel gesprochene Wort eine Frau an diesen grauenvollen Ort bringen, von dem es kein Entkommen mehr gibt. Die Frauen gelten als melancholisch, hysterisch oder besessen. Sie werden nur mehr aufbewahrt und dienen einem medizinischen Zweck, wenn sie ausgewählt werden, bei öffentlichen Vorführungen ihre Hysterie oder ihre Anfälle zur Schau zu stellen.

 

Eugénie, Tochter aus gutem Hause, fühlt sich seit ihrer Kindheit anders als die Menschen in ihrer Umgebung. Sie kann Tote sehen und manchmal sogar mit ihnen sprechen. Aus Angst vor der Salpêtrière schweigt sie über ihre Gabe. Alles wird anders, als sie ihren Bruder zu einem Diskussionsabend begleitet, bei dem sie von einem Buch hört, das sich mit dem Sehen von Geistern beschäftigt. Heimlich besorgt sie sich dieses Buch und fühlt sich auf einmal weniger allein.

In einem Moment der Sicherheit vertraut sie sich ihrer Großmutter an. Ein verhängnisvoller Fehler, wie sich schnell zeigt, da sie nur wenige Tage später von ihrem Vater in der Irrenanstalt abgeliefert wird.
Eugénie ist nicht die einzige, die einen Weg sucht aus der Anstalt zu entkommen. Auch Louise, die schon einige Jahre dort aufbewahrt wird, träumt von einem anderen Leben. Ihr Geliebter Jules, ein junger Arzt, verspricht ihr das blaue vom Himmel, eine Hochzeit und ein besseres Leben, um sie auszunutzen und willig zu machen.

Durch ihre Gabe schafft Eugénie es schließlich in der Aufseherin eine Verbündete zu finden, die jedoch einen hohen Preis bezahlen muss, um der jungen Frau zu helfen.

 

Victoria Mas schreibt sanft und einfühlsam. Jedoch bleibt mir die Geschichte insgesamt zu oberflächlich. Ich hätte mir ein bisschen mehr geschichtliche Fakten, Hintergrundinformationen und ein bisschen mehr Tiefgang und Ecken und Kanten in der Geschichte gewünscht. Ähnlich wie ich es im Lagerfeuergespräch mit Bianca vom Blog literatwo.de über Laetitia Colombanis "Das Haus der Frauen" gesagt habe, ist mir auch dieser Roman etwas zu vorhersehbar und weich. Aber sicher wird es viele Leser*innen geben, die genau das an diesem Roman lieben werden. Die Weichheit und Liebe, die trotz des tragischen Themas zwischen den Seiten steckt.
Wer die Bücher von Laetitia Colombani "Der Zopf" und "Das Haus der Frauen" mochte, sollte hier unbedingt hineinlesen!

 

Victoria Mas

"Die Tanzenden"

aus dem Französischen übersetzt von Julia Schoch

Piper-Verlag

Hardcover: ISBN 978-3-492-07014-0 20€

 

Alle weiteren Rezensionen in alphabetischer Reihenfolge finden sich hier.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0