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Rezension: "Zugvögel" - Charlotte McConaghy

Wie eine Küstenseeschwalbe bin ich durch die Seiten dieses Debüts geflogen. Und wie der beeindruckende Vogel ins Meer eintaucht, um einen Fisch aus dem glitzernden Schwarm zu ergattern, so lässt die Autorin die Leser*innen immer wieder kurz eintauchen in die unterschiedlichen Zeitebenen der Erzählung. Stückchen für Stückchen wird so eine Geschichte erzählt, deren gesamtes Ausmaß man erst ganz am Ende erfasst. Ein Ende, das einen sprachlos, überrascht und hoffnungsvoll zurücklässt.


Es steckt so unfassbar viel in diesem Roman! Es ist eine Geschichte über die Folgen des Klimawandels, die uns schon in der nahen Zukunft treffen werden, eine Geschichte über das große Artensterben, dem wir längst tatenlos zusehen und das unser aller Leben elementar verändern wird. Es ist daneben aber auch eine Geschichte über Familie, über Verbundenheit und über das tiefe Gefühl der Zugehörigkeit. Es ist eine Geschichte über Freiheit, über das Getriebensein und das Ruhe finden, über das Gewähren lassen und über Liebe, die stärker ist als alles andere und über den Tod bestehen bleibt.

Der Roman ist rau und kühl, die Orte der Handlung unwirtlich. Die Protagonistin ist so unfassbar stark und gleichzeitig so zerbrechlich - wie eine Küstenseeschwalbe, die so stark ist und von allen Zugvögeln den weitesten Weg zurücklegt und doch den Stürmen über dem Meer schutzlos ausgeliefert ist.

Das Buch ist nicht "schön" aber großartig - auf so viele Arten!

 

Franny ist in Grönland auf der Suche nach einem Schiff, das in Richtung Süden fährt und Franny ihrem Ziel näher bringt. Auf dem Laptop, den sie bei sich trägt, läuft ein Programm, das kleine rote Punkte auf einer Karte zeigt - markierte Küstenseeschwalben, die sich bald auf den Weg in die Antarktis machen werden - die letzten ihrer Art. Diese kleinen und starken Seevögel sollen Franny wieder zu Niall bringen. Niall, ihre große Liebe und ihr größtes Gefängnis, der vor dessen Liebe sie immer wieder fliehen wollte und zu dem sie doch immer wieder zurückkehrte. Was genau es mit Frannys Suche nach Niall auf sich hat, zeigt sich in allen Facetten erst am Ende des Romans - es hat mir das Herz gebrochen!

Franny findet schließlich ein Fischerboot, das sie eine Weile mitnehmen will, denn der Kapitän hofft darauf, wenn er Franny zu den Küstenseeschwalben bringt auch immer auf der Fährte der Fischschwärme zu sein, denn Fische genau wie Vögel sind selten geworden in diesen Tagen. Franny hält sich bedeckt über ihre tatsächlichen Pläne und gewinnt erst nach und nach das Vertrauen der Mannschaft, die gar nicht glücklich über die Neue an Bord ist.
Je weiter sich das Boot Richtung Süden bewegt, um so mehr erfahren die Leser*innen über Frannys Vergangenheit und nach und nach wird klar, welches Ziel sie eigentlich mit ihrer Reise verfolgt.


Mehr kann ich euch an dieser Stelle nicht verraten, appelliere aber an euch: Bitte lest dieses Buch!

 

Charlotte McConaghy

"Zugvögel"

übersetzt aus dem Englischen von Tanja Handels

S.Fischer Verlag

Hardcover: ISBN 978-3-103-97470-6 22€

In der Verzweiflung aus der die wunderbare Hauptfigur handelt, hat mich das Buch erinnert an "Herz auf Eis" (Isabelle Autissier),"Die Einsamkeit der Seevögel" (Gohril Gabrielsen), "Grün" (Josef Zweimüller) oder "Das Flüstern der Bäume" (Michael Christie - Neuerscheinung Oktober 2020).
Wer auf der Suche nach anderen Romanen ist, die sich mit den Themen Artensterben, Klimawandel oder der radikalen Veränderung von Lebensbedingungen auseinander setzen, könnte mit "Mein Name ist Monster" (Katie Hale) sowie den schon erwähnten "Die Einsamkeit der Seevögel" und "Das Flüstern der Bäume" fündig werden.

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